< PreviousSarkopenie – die nächste Volkskrankheit? Fachliche Informationen Bewegungs- und Gesundheitsförderung Der altersbedingte Muskelabbau ist komplexer als allgemein angenommen wird. Nur intensives Krafttraining wirkt der Sarkopenie entgegegen. Bewegungsmedizin – Nr. 10 / September 2021 10Bewegungsmedizin – Nr. 10 / September 2021 Definition Der Begriff Sarkopenie wurde 1989 erstmals von Irwin Rosen- berg benutzt und setzt sich aus den griechischen Wörtern sarx (= Fleisch) und penia (= Mangel) zusammen. Sarkopenie bezeichnet die allmähliche Abnahme der Muskelmasse , der willkürlichen Muskelkraft und der Muskelleistung im Laufe des natürlichen Alterungsprozesses. Schulmedizinische Diagnostik Manchen älteren Menschen sieht man ihre Gebrechlichkeit förm- lich an. Doch häufig ist der Zustand der Muskulatur und ihre Funktionalität nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Auch über- gewichtige Menschen können unter Sarkopenie leiden. Eindeutige Grenzwerte sind schwer zu definieren. Trotzdem gibt es in der Schul medizin Tests und Verfahren, mit denen Sarkopenie erkannt und deren Schwere eingeordnet werden kann. Ein erstes Anzeichen ist die Ganggeschwindigkeit. Liegt diese bei einer Distanz von 6 Metern unter 0,8 m/s – das heisst, die Person braucht für 6 Meter länger als 7,5 s – sollten weitere Abklärungen erfolgen. In der Forschung sind die beiden Goldstandards die Computer- tomographie (CT-Scan) und die Magnetresonanztomographie (MRT), mit denen die Muskelmasse definiert wird. Aufgrund der hohen Kosten und des begrenzten Zugangs zu solchen Geräten empfiehlt die «European Working Group on Sarcopenia in Older People» in der klinischen Praxis jedoch zunächst die Verwen- dung einer Dual-Energy-Röntgen-Absorptiometrie (DXA) oder als portable Alternative zu DXA die bioelektrische Impedanz- analyse (BIA). Ist als erstes Kriterium die Muskelmasse erniedrigt (im Ver- gleich zu Normwerten der Altersgruppe), liegt eine sogenannte Präsarkopenie vor. NEWMANN et al. haben zur Errechnung der Muskelmasse der Extremitäten die folgende Formel entwickelt, die den Normwerten zugrunde liegt: Älterwerden ist mit einem Verlust an Muskelmasse verbunden. Relevant wird dieser Verlust erst dann, wenn er sich im Alltag bemerkbar macht, wenn das Aufstehen vom Stuhl schwierig wird oder Gleichgewichtsprobleme nicht mehr kompensiert werden können. Die stetig steigende Lebenserwartung und die rasante Verminderung von körperlich anstrengenden Arbeiten durch Techni- sierung und Digitalisierung könnte dazu führen, dass Sarkopenie zur nächsten Volkskrankheit wird. Von André Tummer Männer = -22,48 + 24,14 x Körpergrösse (m) + 0,21 x totale Fettmasse (kg) Frauen = -13,19 + 14,75 x Körpergrösse (m) + 0,23 x totale Fettmasse (kg) Beispiel: Mann, 70 kg, 1,85 m, 10,5 kg Körperfett -22,48 + 24,14 x 1,85 m + 0,21 x 10,5 kg = 24,384 kg Muskelmasse der Extremitäten 11Bewegungsmedizin – Nr. 10 / September 2021 Fachliche Informationen Bewegungs- und Gesundheitsförderung Als zweites Kriterium wird die Muskelkraft mit Hilfe der Handkraftmessung gemessen, da diese einen sehr guten prog- nostischen Marker für die Kraftfähigkeit des gesamten Körpers darstellt. Als pathologisch gilt eine Kraft unter 20 kg (Frauen) bzw. 30 kg (Männer). Das dritte Kriterium, die Muskelleistung, wird mittels standarisierter funktioneller Tests wie z. B. dem CST (Chair Stand Test) eruiert, bei dem die Person zehnmal ohne Zuhilfenahme der Arme von einem Stuhl aufstehen und sich wieder setzen muss. Diese Leistung sollte nicht länger als 30 s dauern. Die verminder- te Muskelleistung ist im Verlust der mitochondrialen Kapazität begründet. Weniger Muskelzellen können dementsprechend we- niger Sauerstoff aufnehmen und verwerten, was die muskuläre Leistungsfähigkeit sinken lässt. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass es noch keinen inter- nationalen Konsens über diese Testdurchführungen und die Testergebnisse gibt. Deshalb findet man in der Literatur zum Teil unterschiedliche Referenzwerte. Sind zum ersten Kriterium (Muskelmasse) noch Muskel- kraft oder Muskelleistung reduziert, spricht man von einer Sar- kopenie . Sind alle drei Kriterien erniedrigt, liegt eine schwere Sarkopenie vor. Wenn ein kritischer Wert von etwa 35 % der ursprünglich an- gelegten Muskelmasse unterschritten wird, so reicht die zur Ver- fügung stehende Muskelkraft nicht mehr zur Bewältigung all- täglicher Tätigkeiten wie Treppensteigen oder Tragen von Einkäufen (Hauer, 2000). Die Folgen der Sarkopenie sind deshalb vielseitig und reichen von körperlichen Einschränkungen, verrin- gerter Lebensqualität oder einem erhöhten Sturzrisiko bis hin zu sozialer Isolation. Kriterium 1Muskelmasse Kriterium 2 Muskelkraft Kriterium 3Muskelleistung Abb. 1: European Working Group on Sarcopenia in Older People (EWGSOP) – Empfehlung zur Diagnose von Sarkopenie Ältere Person (> 65 Jahre) Keine SarkopenieKeine SarkopenieSarkopenie normalerniedrigt Messung Ganggeschwindigkeit > 0.8 m / s < 0.8 m / s Messung GriffkraftMessung Muskelmasse normalerniedrigt 12Bewegungsmedizin – Nr. 10 / September 2021 Muskeln und Knochen als funktionelle Einheit Die Muskulatur bewirkt am Knochen zahlreiche mechanische und molekulare Reize. Muskeln und Knochen sind demnach im- mer als Einheit zu betrachten. Eine Sarkopenie wird deshalb auch mit einer niedrigeren Knochendichte in Verbindung gebracht und stellt damit ein höheres Frakturrisiko dar. Die altersbezogene Einbusse bei Knochenmasse und -qualität führt zusammen mit der altersbezogenen Verminderung von Muskelmasse und -kraft zum Mischbild der Sarkoosteopenie oder Sarkoosteoporose (BLINKLEY et al., 2009). Übergewicht und Sarkopenie Wenn im Alterungsprozess die Muskelmasse abnimmt, kann sich an Stelle fehlender Muskelfasern Fettgewebe ablagern. Somit ist eine Sarkopenie bei jedem Gewicht möglich. Die Kombination von Sarkopenie und Übergewicht wird als «sarkopenische Adiposi- tas» bezeichnet und ist besonders problematisch, weil das über- mäßige Körperfett zusätzlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen be- günstigt. Das alleinige Messen des Körpergewichts sagt also genauso wie der Body-Mass-Index nichts darüber aus, ob genü- gend Muskelmasse vorhanden ist. Als wichtigstes Stoffwechsel- organ ist eine verminderte Muskelmasse nicht mehr ausreichend in der Lage, die durch die Ernährung zugeführten Kohlenhydrate zu verarbeiten. Das Risiko einer Diabetes-Typ-2-Erkrankung steigt. EVANS (2000) grenzt die Kachexie , den pathologischen Gewichtsverlust durch eine generalisierte Atrophie sämtlicher körperlicher Gewebe, also auch den Muskelabbau durch körper- liche Inaktivität oder durch Ruhigstellung , von der Sarkope- nie ab. Das Beispiel der Ruhigstellung verdeutlicht allerdings, wie schnell Muskeln, die nicht beansprucht werden, an Volumen und Leistung verlieren. Ursachen der Sarkopenie Als pathophysiologische Grundlage ist ein Verlust an Muskelfa- sern, vor allem der schnell agierenden Typ-2-Fasern, erkennbar. Der Aufbau der Muskelfasern ist verlangsamt und deren Abbau beschleunigt. Es entwickelt sich eine anabolische Resistenz, das heisst, anabole Reize steigern die Muskelproteinsynthese beim älteren Menschen weniger als bei einer jungen Person. Wie immer sind die Ursachen einer Erkrankung bzw. eines Beschwerdebildes mehrschichtig, wobei sich herausgestellt hat, dass sich eine verminderte und proteinarme Nahrungsauf- nahme und eine verminderte körperliche Aktivität bei älteren Menschen als Hauptursachen herauskristallisiert haben. Gesund- heitsexperten in unserer Branche sollten aber auch die folgenden Einflüsse auf die Entwicklung einer Sarkopenie kennen: – Hormonelle Veränderungen, insbesondere die altersbe- dingten tieferen Spiegel von HGH, DHEA und Testoste- ron und die damit reduzierte Proteinsynthese. – Verschlechterte Muskelinnervation durch degenerativen Verlust von Motoneuronen im Rückenmark. – Geringere Fähigkeit des älteren Menschen, oxidativen Stress zu bewältigen; dies führt zu beschleunigter Zellalterung. – Chronische Erkrankungen, die zu einem höheren Cortisolspiegel führen, was den Muskelabbau be- schleunigt. Hierzu zählen das ACTH-abhängige und das ACTH-unabhängige Cushing Syndrom, die zu einer dauerhaften Überproduktion von Cortisol in den Nebennierenrinden führen. – Chronische entzündliche Erkrankungen, v. a. aus dem Kreis der rheumatoiden Arthritis. Abb. 2: Hypothetischer Verlauf der Veränderung der willkürlichen Kraft mit zunehmenden Alter (Shepard 2002) 13Bewegungsmedizin – Nr. 10 / September 2021 Fachliche Informationen Bewegungs- und Gesundheitsförderung Risikofaktor Entzündung Vor allem von der rheumatoiden Arthritis (RA) ist bekannt, dass der chronische Entzündungsprozess genau wie der Alte- rungsprozess zur Sarkopenie führen kann. Bei schwer Betroffe- nen kann Bewegungsmangel die Symptome verstärken. Entzün- dung, Immobilität und Alterungsprozess bilden nun wiederum einen Teufelskreis. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass eine Beziehung zwischen Sarkopenie und hoher Krankheitsaktivität der rheumatoiden Arthritis besteht: Je höher die Krankheitsakti- vität, umso größer ist der Verlust an Muskelmasse und Funktion. Die Studienergebnisse der deutschen Rheumaliga zeigen, dass RA-Patienten elfmal häufiger von Sarkopenie betroffen sind als die Kontrollgruppe. Außerdem sind RA-Patienten in jüngerem Lebensalter von Sarkopenie betroffen als Menschen ohne eine entzündliche Grunderkrankung. Ähnliches gilt laut einer anderen Studie für auch entzünd- liche Wirbelsäulenerkrankungen, die Spondyloarthritiden : Im Vergleich zu einer gleichaltrigen Kontrollgruppe litten 62 % der Patienten mit entzündlicher Wirbelsäulenerkrankung bei einem Durchschnittsalter von 46 Jahren an einer Sarkopenie. Die molekularen Mechanismen der chronischen Entzün- dungen scheinen Einfluss auf die der Gewebealterung zu haben und dazu zu führen, dass Zellen seneszent werden (= ihre Zell- teilung einstellen). In der klinischen Praxis hat es sich deshalb als sinnvoll er- wiesen, «primäre Sarkopenie» und «sekundäre Sarkopenie» zu unterscheiden. Bei der primären Sarkopenie ist die Ursache ausschliesslich das zunehmende Alter. Die sekundäre Sarkopenie ist verursacht durch Bewegungsmangel, Ernährungsmangel und / oder die Folge oben erwähnter Erkrankungen, deshalb kann die sekundäre Sarkopenie auch bereits in früheren Lebensjahren auftreten. Häufigkeit Die Prävalenz (= Anzahl erkrankter Personen im Vergleich zur Zahl der Untersuchten) einer Sarkopenie beträgt bei Erwachsenen zwischen dem 40 und 79. Lebensjahr ca. 2 %. Bis zum 85. Lebens- jahr verdoppelt sich das Erkrankungsrisiko. Es muss hier aber festgehalten werden, dass diese Anga- ben anhand von vielen Querschnittsuntersuchungen (Untersu- chungen von Testpersonen zu einem definierten Zeitpunkt) und weniger Longitudinalstudien (Untersuchungen von Testpersonen in einem zeitlichen Verlauf) erstellt wurden. Die gefundenen Durchschnittswerte zeigen einen geringen, aber kontinuierlichen Verlust von Muskelmasse und Kraft nach dem 30. Lebensjahr. Ab 50 Jahren scheint sich dieser Verlust zu beschleunigen. Da wie erwähnt nur wenige Langzeituntersuchungen vorliegen, sind Verfälschungen nicht auszuschliessen. Es gibt auch die «zero-gravity-sarcopenia» , welche den Muskelschwund der Austronauten im Weltall beschreibt. Da diese nicht gegen die Schwerkraft arbeiten müssen, bauen sich die Muskelzellen rasant ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein betroffener Astronaut bei Ihnen im Fitnesscenter landet, ist allerdings verschwindend klein. Nicht Figurtraining, sondern das Erhalten der Muskelfunktionen steht im Vordergrund. 14So kann es sein, dass sich der nach dem 50. Lebensjahr nicht wirklich der natürliche, also physiologische Altersabbau be- schleunigt, sondern vielmehr die Effekte einer bequemen Lebens- führung in Erscheinung treten. Die beobachteten Phasen des be- schleunigten Muskelabbaus und der damit nachlassenden Kraft gehen häufig mit dem Weglassen von körperlichen Tätigkeiten einher. Der dadurch entfallende Reiz, welcher bis dahin die Mus- kulatur erhalten hatte, entfällt. Die geringeren Aktivitäten führen zu einem weiteren Muskel- und Kraftverlust. Das Ausmass des Muskelschwundes ist beträchtlich. Sar- kopenie-Betroffene verlieren pro Jahr 1–2 % ihrer Muskelmasse. Der Verlust an Muskelkraft soll im Alter von 50–60 Jahren jähr- lich 1,5 % und danach jährlich bis zu 3 % betragen. Frauen und Männer sind gleichermassen betroffen, wobei die ungleich grös- sere Anlage von Muskelmasse bei Männern unter dem Einfluss der geschlechtsspezifischen Hormone wie dem Testosteron den Männern trotz gleicher Muskelabbaurate einen Vorsprung gibt. Schulmedizinsche Therapie In der wissenschaftlichen Literatur wird zur Kompensation des muskulären Defizits ein sicheres, gezieltes und progressives Krafttraining empfohlen. Damit der Transfer in den Alltag und insbesondere auch das Sturzrisiko minimiert werden, muss das Krafttraining durch ein Koordinationstraining ergänzt werden (PETERSON et al., 2010). Eine alleinige Proteinanreicherung (die empfohlene Tagesmenge liegt bei 1–1,2 g Protein pro kg Körper- gewicht) der Nahrung OHNE Krafttraining hat sich als wirkungs- los erwiesen. Von einer geschlechtsspezifischen Hormonsubsti- tution wird ebenfalls abgeraten, da die derzeitige Datenlage dazu nicht ausreicht. Untersuchungen bezüglich der Wirksamkeit von Krafttrai- ning bei älteren Menschen begann in verschiedenen geriatrischen und sportmedizinischen Institutionen in den 1990er-Jahren. Aus- gehend von der Hypothese, dass Kraftdefizite einen signifikanten Risikofaktor für Stürze, Verlust der Selbstständigkeit, Pflegeheim- einweisung und Behinderung in Alter darstellen, wurden unter- schiedliche Trainingsmethoden bei sturzgefährdeten älteren Men- schen unter kontrollierten Bedingungen untersucht. Es trainierten hochaltrige Personen, die nicht nur eine messbare Zunahme der Muskelkraft, sondern eine deutlich bessere Leistungsfähigkeit in ihrem Alltag erreichten (FIATARONE et al., 1990; LA STAYO et al., 2003). Es konnte gezeigt werden, dass Muskelaufbau und -kraft ANZEIGE SENSOPRO IST KOORDINATION! 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Durch das gezielte Training an Kraftmaschinen wurde nicht nur die Muskelkraft in der Trainingssituation mess- bar gefördert, sondern auch eine bessere funktionelle Leistung der älteren Menschen bei alltäglichen Verrichtungen wie dem Tragen von Einkäufen oder Wäschekörben. Neue Studienergeb- nisse weisen darauf hin, dass Krafttraining keine isolierte Mass- nahme darstellen sollte, sondern idealerweise mit einem Koordi- nationstraining zu verbinden ist (ALEXANDER et al., 2001; HIRSCH et al., 2003). Kosten der Sarkopenie für das Gesundheitswesen Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollen im Jahr 2050 mindestens 2 Milliarden Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter sein, verglichen mit 600 Millionen heute. Auch die Lebenserwartung steigt und wird in Industrieländern auf rund 80 Jahre geschätzt. In der Schweiz liegt die durchschnitt- liche Lebenserwartung bei den Frauen aktuell bei 85 Jahren und bei den Männern bei 81 Jahren. Angesichts der Auswirkungen der Sarkopenie wird erwar- tet, dass die diesbezüglichen Kosten für die öffentliche Gesund- heit hoch sind. Derzeit sind jedoch die Wirtschaftsdaten zu Sar- kopenie ungenügend. Nur eine Studie aus den Vereinigten Staaten berichtet über die diesbezüglichen Gesundheitskosten. Bei diesen Schätzungen wurden die direkten Kosten der Sarkopenie berück- sichtigt, die im Jahr 2000 auf 18,5 Milliarden US-Dollar angestie- gen sind. Diese Kosten werden durch Krankenhausaufenthalte, Einweisungen in Pflegeheime und Ausgaben für die häusliche Krankenpflege repräsentiert. Wie erwähnt geht die Sarkopenie mit multiplen Komorbiditäten einher und kann auch Auswirkun- gen auf Osteoporose, Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 ha- ben. Unter Berücksichtigung dieser Komorbiditäten, die mit den Gesundheitskosten verbunden sind, könnte die wirtschaftliche Belastung durch Sarkopenie wahrscheinlich noch größer sein, als in der Studie von JANSSEN berichtet wird. Sarkopenie wird auch mit anderen Gesundheitskosten wie Produktivitätsverlust, ver- minderter Lebensqualität und Autonomieverlust, aber auch mit psychischen Problemen in Verbindung gebracht. Diese indirekten Kosten der Sarkopenie wurden jedoch noch nicht quantifiziert. Fazit Unter Berücksichtigung aller bisher erläuterten Kriterien haben Fitness- und Gesundheitscenter mit ihrem gerätegestützten Krafttraining ein SCHLÜSSELELEMENT in der Hand, um der Sarkopenie und deren Folgen erfolgreich entgegenzutreten. Aus meiner Sicht wurde diesem wichtigen Thema bisher jedoch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und nur in Einzel- fällen von Fitnesscentern in ausreichender Tiefe erläutert. Schauen wir uns also im nächsten Artikel an, was bei der Umsetzung zu beachten ist. 16Starke Jobs für eine starke Branche Der SFGV hat eine weitere Dienstleistung lanciert. Eine offene Jobplattform, welche von Stellensuchenden und Stellenanbietern der Fitness- und Gesundheits- center-Branche genutzt werden kann. Zu finden, auf www.jobs-sfgv.ch. Für alle SFGV Mitglieder steht diese Plattform kostenfrei zur Verfügung. Über ein spezielles Login lassen sich die Daten aufschalten. Nicht-Mitglieder können die Plattform eben- falls nutzen, allerdings gegen eine Gebühr. Der Aspekt der Mindestlohnempfehlung ist ein integrierter Bestandteil der SFGV-Jobplattform. Ein Pluspunkt für Anbie- ter und eine Orientierung für Stellensuchende. Auch auf den Einbezug offener Lehrstellen wurde geachtet. Arbeitgeber können sich als Lehrbetrieb eintragen. Für Stellensuchende wurde ein separates Log-in erstellt. So kann mit der Schaltung einer Bewerbung entschieden wer- den, ob diese der Öffentlichkeit zugänglich, oder nur für an- gemeldete Arbeitgeber einsehbar ist. Ein weiteres Highlight ist auch der abonnierbare Jobmail- Service. Dieser verschickt Stellenangebote, welche den Suchkriterien entsprechen, automatisch per E-Mail. Schweizerischer Fitness- und Gesundheits-Center Verband CH-3000 Bern Telefon 0848 893 802 www.sfgv.ch E-Mail info@sfgv.ch Jetzt testen ANZEIGEBewegungsmedizin – Nr. 10 / September 2021 Fachliche Informationen Bewegungs- und Gesundheitsförderung Aus dem vorhergehenden Artikel geht eindeutig hervor, dass Alltags- bewegungen nicht die notwendigen Reize für die Muskulatur liefern können. Doch diese Erkenntnis ist noch lange nicht in der Bevölkerung angekommen. Spazierengehen, Gartenarbeit und Turnen vor dem Fernseher sind kein Training, sondern eben «nur» Bewegung. Die gut gemeinte Empfehlung vieler Ärzte, ja nicht zu viel Gewicht zu nehmen, sondern lieber viele Wiederholungen zu machen, ist bezüglich der Sarkopenie auch nicht zielführend. Von André Tummer Im langfristigen und individuellen Trainingsprozess müssen auch die zu überwindenden Widerstände gesteigert werden – gerade bei älteren Menschen. Bedingung dafür ist eine orthopädische und kardio-vaskuläre Belastbarkeit. Umsetzung in die Praxis: Alter schützt nicht vor Intensität – Belastbarkeit vorausgesetztBewegungsmedizin – Nr. 10 / September 2021 Erster Schritt Als ersten Schritt sollte das Thema Sarkopenie daher durch ent- sprechendes Marketing in Ihrem Unternehmen einen Hauptfokus bekommen. Schreiben Sie Artikel dazu, nutzen Sie Ihre Social- Media-Kanäle, halten Sie Vorträge oder bieten Sie Webinare an. In welcher Form auch immer Sie informieren, machen Sie Ihren Kundinnen und Kunden klar, dass Sie als Anbieter für Krafttrai- ning ein Alleinstellungsmerkmal bezüglich der Prävention von Sarkopenie besitzen! Vermitteln Sie, dass Krafttraining in der Primärprävention verwurzelt ist, das heisst, es soll die Entstehung von Sarkopenie vermeiden. Deshalb sollte mit einem regelmässigen Krafttraining so früh wie möglich begonnen werden. Zweiter Schritt Als zweiten Schritt empfehle ich Ihnen zu testen! Eine Impedanz- messung ist heute in fast jedem Center möglich. Wenn diese schon vonseiten der Wissenschaft als eine günstige Methode er- wähnt wird, dann sollte sie genutzt werden. Auch wenn die Mes- sung nicht so genau sein kann wie DXA, CT, oder MRT, gibt sie uns doch die Möglichkeit, Aufklärung zu betreiben. Legen Sie auch hier den Fokus auf die Muskulatur! Leider ist die Impedanzmes- sung im Volksmund eher als «Körperfettmessung» bekannt und wird immer dann verstärkt verlangt, wenn das Gegenüber im Spiegel mal wieder nicht der Wunschfigur entspricht. In Bezug auf die Prävention der Sarkopenie würde ich deshalb empfehlen, eher von einer «Muskelanalyse» zu sprechen und dies auch so bekannt zu machen. Dritter Schritt Der dritte Schritt ist das Risikoscreening. Bedenken Sie, dass Sie Personen trainieren, die über sehr lange Zeit inaktiv waren und keine regelmässige körperliche Aktivität gewohnt sind. In dieser Gruppe befinden sich auch Kundinnen und Kunden, die früher trainiert haben, ihr Training aber für lange Zeit unterbrochen ha- ben und oft durch falschen Ehrgeiz wieder schnell an «alte Leis- tungen» anknüpfen wollen. Besonderes Augenmerk sollte in der Gesundheitsbefra- gung auf orthopädische Beschwerden und auf das kardiovasku- läre Risiko gelegt werden. Training mit höheren Lasten führt stets auch zu höheren Blutdruckspitzen insbesondere bei isometri- schen Belastungsformen (BAUM 1995). Liegen entzündliche Pro- zesse in Gelenken bzw. Sehnen- und Bandstrukturen vor, kann ebenfalls nicht mit hohen Gewichten belastet werden. Gesund- heitsexperten in unserer Branche sollten generell über ein hohes Fachwissen bezüglich der im Alter auftretenden Erkrankungen haben. Wahl der zielführenden Trainingsmethoden und Trainingsmittel Erst ein Krafttraining mit hoher Last (70–80 % des 1RM*) und wenigen Wiederholungszahlen (8–12) aktivieren die Typ-2- Fasern, die gerade in der Sarkopenie oder generell bei zuneh- mendem Alter schnell abgebaut werden (GOTTLOB, 2017). Der Betonung der exzentrischen Bewegungsphase scheint für die muskuläre Adaptation offenbar von besonderer Bedeutung zu sein, insbesondere für die Zunahme des Muskelquerschnitts der Typ-2-Fasern (FRIEDMANN, 2007). Als Trainingsmittel ist das geführte Krafttraining an Gerä- ten das erste Mittel der Wahl, da es die notwendige Sicherheit bietet, schwere Lasten zu bewegen. Die geführte Bewegung er- möglicht zudem eine Ausführung über eine grosse – wenn auch nicht volle – Bewegungsamplitude. Das sichere Ausführen einer grossen Range of Motion (ROM) verbessert im Laufe der Zeit weichteilbedingte Bewegungseinschränkungen bei älteren Men- schen (Muskulatur, Faszien). Gerätegestütztes Krafttraining sollte deshalb einen Schwerpunkt im Trainingsplan bilden. Den Nachteil der geringe- ren Eigenstabilität und der wenig geforderten koordinativen Fä- higkeiten kann durch Übungen mit höheren Freiheitsgraden (Ka- belzüge, Hanteln, instabile Unterlagen) ausgeglichen werden, die ergänzend hinzukommen. Je höher der koordinative Anspruch der Bewegung, desto geringer ist die Last, die eine Person dabei überwinden kann. Auch wenn der Trend des «funktionalen Kraft- trainings» in aller Munde ist, muss erst einmal eine Kraft entwi- ckelt werden. * 1 Repetition Maximum (1RM) ist das maximale Gewicht, das eine Person nur einmal in einem definierten Bewegungsbereich bewegen kann. 19Next >